Achtsamkeit ist nun in aller Munde, doch woher kommt diese Art des Seins? Achtsamkeit wird schon seit tausenden von Jahren in vielen verschiedenen Traditionen der Welt praktiziert und ist somit universell. Wir finden diese Praxis im Buddhismus, im Christentum und Judentum wie auch im Islam. Achtsamkeit ist an keine Religion gebunden und kann von jedem Menschen, egal welcher Zugehörigkeit praktiziert werden. Es geht vor allem um die innere Stille, die erfahrbar wird, wenn wir äusserlich zur Ruhe kommen. So nehmen wir bewusst wahr, was sich im Innen zeigt ohne dies zu bewerten.



«Achtsamkeit ist die Fähigkeit, im gegenwärtigen Augenblick auf wohlwollende, freundliche, nicht urteilende Weise präsent zu sein.» Lienhard Valentin



Die Praxis der Achtsamkeit kann in der heutigen schnelllebigen Zeit, wo wir manchmal getrieben und im Modus des Autopiloten umherhetzen, wie ein Balsam sein. Ein Balsam, den wir mit stetiger Praxis immer wieder auftragen, bis er eines Tages soweit eingezogen ist, dass er unseren ganzen Körper und Geist durchdringt.

Multitasking, Reizüberflutung, Daueraktivität - das stresst, macht müde und erschöpft. Dies beginnt meist schon am Morgen im Bett wo wir, statt unseren Körper wahrzunehmen, bereits mit den Gedanken den Tag durchplanen und strukturieren und ihn als angenehm, unangenehm oder neutral bewerten. Beim Frühstück checken wir die SMS während wir dazu das Brötchen essen. Beim Duschen gehen wir das noch anstehende Gespräch mit dem Chef durch und schlussendlich bringen wir im Autopilot-Modus die Kinder in die Schule, weil wir denken, dass wir bereits alles auf diesem Weg schon kennen. Leider verpassen wir durch diese Abgelenktheit die wirklichen, reellen und schönen Momente die das Leben für uns bereithält. Öffne dein Gewahrsein vermehrt und sieh die Blumen wieder, die am Wegrand blühen, die Kinder, die ausgelassen spielen, höre die Vögel, wie sie ihre Frühlingslieder singen und nimm den Duft der blühenden Lindenbäume in dir auf. Achtsamkeit ist kein Modetrend, sondern eine innere Haltung, die getragen ist von:

Liebender Güte
Mitgefühl
Mitfreude
Gleichmut


Liebende Güte bedeutet die Aufgabe von verletzendem Verhalten, Voreingenommenheit und Verbitterung, um eine innere Haltung der Freundlichkeit (für andere und mir selbst gegenüber) und des Wohlwollens zu entwickeln. Um dieser Geisteshaltung näher zu kommen wird die Metta-Meditation (achtsames Selbstmitgefühl und Mitgefühl für andere) praktiziert.

Mitgefühl bedeutet ein offenes Herz zu haben. Es beinhaltet die Fähigkeit, den Schmerz und das Leiden anderer zu erkennen und zu erleben als ob es das eigene wäre. Hier spielt die Unterscheidungsfähigkeit von Mitgefühl und Mitleid eine entscheidende Rolle.

Mitfreude bedeutet, sich nicht nur an seinen eigenen Gewinnen und Erfolgen zu erfreuen, sondern die Fähigkeit, dieses Glück und diese Freude auch auf alle Mitmenschen auszuweiten.

Gleichmut ist eine unerschütterliche Gemütsruhe, eine innere Haltung mit der wir bei allen äusseren Umständen, egal ob angenehm, unangenehm oder neutral in Frieden verweilen können.

Alle diese vier Geistesqualitäten fliessen in einander und ergänzen sich.

Achtsamkeit ist kein Ziel, welches zu erreichen wäre, sondern vielmehr ein fortlaufender Prozess der bis zu unserem letzten Atemzug anhält. Wir müssen uns nicht noch mehr anstrengen als wir dies schon tun in unserm Alltag, sondern wir können uns wieder mehr in den Modus des Seins fallen lassen. So können wir in der Ruhe und in der präsenten Ausgerichtetheit alles wahrnehmen was über unsere fünf Sinnestore in uns einströmt. Es geht darum, die Wunder des Lebens wieder mehr in uns aufzunehmen, diese zu vertiefen und sie zu geniessen.

Das Jetzt ist der einzige Augenblick, den wir wirklich und echt erleben können.
Die Vergangenheit ist schon vorbei, die Zukunft noch nicht da.
Lebe das Jetzt und du wirst dein Leben in seiner vollen Fülle wahrnehmen.



«Unsere Verabredung mit dem Leben findet im gegenwärtigen Moment statt, und der Treffpunkt ist genau da, wo wir uns gerade befinden.» Buddha


Der Ansatz der Achtsamkeit wie er hier im Westen meist gelehrt wird, beruht auf dem MBSR-Programm (Mindfulness Based Stress Reduction), ein achtwöchiges Programm, das der Molekularbiologe und Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn Ende der Siebzigerjahre entwickelt hat. Durch das präsente Verweilen von Moment zu Moment und durch das Wahrnehmen der Körperempfindungen, des Atems und der inneren Stimmungslage kann man mit der Zeit lernen, Stresssituationen frühzeitig zu erkennen. Mit einem kurzen, bewussten Moment des Innehaltens finden wir die Möglichkeit, bewusst und adäquat zu handeln, statt reflexartig und impulsiv zu reagieren.


«Wenn es uns gelingt, in einer Stresssituation ruhig und zentriert zu bleiben, weil man sowohl die momentane Belastung als auch die Versuchung impulsiv zu reagieren erkennt, verleiht man der Situation eine völlig neue Dimension. In diesem Augenblick achtsam zu sein, bedeutet aber vor allem, die Agitationen als das zu erkennen, was sie wirklich sind, nämlich Gedanken, Empfindungen, Impulse. Dieser einfache Vorgang des sich Bewusstwerdens (viveka) kann der Situation bereits die Spitze nehmen. Man hat die Wahl auf gewohnte Weise zu reagieren oder man kann bewusst handeln. Achtsamer Umgang mit belastenden Situationen bedeutet nicht verdrängen, es bedeutet auf eine Situation angemessen zu reagieren und aus der Sicht des Beobachtens zu handeln. Der beste Einstieg ist der Atem. Bewusstes Atmen ist sehr beruhigend und stabilisierend.» Jon Kabat-Zinn